Statement

Antworten auf #IGFQuestions

#IGFQuestions
Foto: Das NETTZ

In mehreren Workshops bereiteten wir mit Vertreter*innen aus Zivilgesellschaft, Stiftungen, NGOs unsere Aktivitäten beim IGF vor. Die Organisation und Koordination der Workshops übernahm das Team des IGF Navigators, das den gesamten Prozess medial begleitete auf Twitter, Instagram, Facebook und Medium.

Ina Zukrigl-Schief führte uns durch die Workshops, in denen mit wechselnder Besetzung Schritt für Schritt verschiedene Aktionen entwickelt wurden. 

Was am Ende heraus kam bei den Formaten #IGFQuestions, Expert*innen-Dialog und “Tackling Hate Speech: A Multi-Stakeholder Responsibility Workshop”, möchten wir für euch zusammen fassen. In diesem Blogpost geht es um #IGFQuestions.

Neu bei diesem UN-IGF war die starke Einbeziehung von Parlamentarier*innen. Ein günstiger Moment für uns, ihnen Fragen zu stellen, die uns und vielen anderen unter den Nägeln brennen. Gar nicht so günstig allerdings, dass nicht nur wir es auf sie absehen würden. Darüber waren wir uns natürlich schon vorher im klaren und suchten deshalb ein Format, bei dem der volle Terminkalender schon mal kein Hinderungsgrund sein konnte. Wir nannten unsere Aktion in der Vorbereitung Twitter-Staccato, denn es sollte darum gehen, den angesprochenen Personen in den zur Verfügung stehenden 280 Zeichen pointierte Statements zu entlocken.

Um unsere superkurzen Interviews durchführen zu können, baten wir die ausgewählten Personen, sich zu einem bestimmten Zeitpunkt bereit zu halten für ein Q&A mit drei Fragen, die sie jeweils binnen fünf Minuten beantworten sollten - direkt online und auf den großen Screens im Konferenzgebäude zu verfolgen.

Wir hatten uns dafür im Vorfeld mit der Gesellschaft für Informatik, dem Youth IGF, Kolleg*innen vom betterplace lab und Wikimedia in drei verschiedene Themenbereiche aufgeteilt: Jung im Netz, Open Data/Algorithmic Governance und Gutes Miteinander. 

Letzteres war selbstverständlich unser Part. One World. One Net. Welche Visionen sind im Raum von unserer zukünftigen Kommunikation in digitalen Räumen? Das NETTZ konnte für Fragen zum Guten Miteinander die deutschen Parlamentarier*innen Saskia Esken (SPD), Thomas Heilmann, Anke Domscheit-Berg (Die Linke) und Lars Klingbeil (SPD) gewinnen, sowie die internationalen IGF-Teilnehmer*innen Bishakha Datta, Mauricia Abdol und Hvale Vale. Wir stellten allen dieselben drei Fragen. Einige der Antworten haben wir für euch zusammengestellt.

IGFQuestions
Grafik: Das NETTZ

Tell us why is hate speech online a problem for you?

Der Tenor in den Antworten auf unsere erste Frage, warum Hate Speech online für die Befragten ein Problem sei, war eindeutig. Von der indischen Aktivistin bis zum konservativen deutschen CDU-Politiker gab es keine Zweifel darüber, dass Hate Speech uns beschäftigen muss.

Bishakha Datta, indische Filmemacherin und Aktivistin: “Hate speech online ist eines der größten Probleme, mit denen wir heute konfrontiert sind. In erster Linie verändert #hatespeech den Stoff und die Texturen unseres Lebens und unserer Gesellschaften zum Schlechteren, verstärkt alte Gräben und Abgründe und schafft neue.”

Thomas Heilmann, deutscher CDU-Politiker, MdB: “Das sollte das Problem eines jeden sein. Auch diejenigen, die nicht selbst betroffen sind, sollten einen genauen Blick darauf werfen. Es ist erschreckend, wie Hassrede oft mit freier Meinungsäußerung gerechtfertigt wird. Hass ist keine Meinung, die es wert ist, durch unser Grundgesetz geschützt zu werden. Hass ist nicht einmal eine Meinung.”

Bishakha Datta ging dabei grundsätzlich an die Frage heran, wie mit dem Phänomen umgegangen werden sollte:

“Vielleicht sollten wir aufhören, es Sprache zu nennen und wirklich an etwas anderes denken - etwa an verbale Hassattacken. Wenn man es Sprache nennt, wertet man diese Form des Hasses zu sehr auf und macht es dann schwieriger, damit umzugehen.”
Bishakha Datta
Filmemacherin und Aktivistin

Der Spruch "Aber das ist freie Meinungsäußerung?" ermüde sie, “wenn es um hasserfüllte verbale Angriffen geht. Ich kenne so viele Frauen, die Twitter und andere Social Media Kanäle verlassen haben, nachdem sie sich dem ständig gegenüber sahen. Oder sie haben sich selbst zensiert”, was nichts anderes heißt, als dass jene in ihrer freien Meinungsäußerung beschnitten werden. 

 

Auch Anke Domscheit-Berg, deutsche Politikerin Die Linke, MdB, stellt bezüglich der immer wieder aufgerufenen “Meinungsfreiheit” klar: “Es geht um die Freiheit derjenigen, die wegen ihrer Meinung mit digitaler Gewalt angegriffen werden.” 

Mauricia Abdol, Sozialunternehmerin aus Cape Town, vergleicht Hate Speech mit einem Krebsgeschwür, das die Gesellschaft krank macht. Sie findet, "die Online-Gesellschaft ist miteinander verwoben. Die Online-Gesellschaft ist miteinander verwoben. Was in den sozialen Medien passiert, hat zwangsläufig Auswirkungen darauf, wie wir wahrnehmen, kommunizieren und physisch interagieren."

Der feminstischen Internetaktivistin und Autorin Hvale Vale, deren Heimat das Netz ist, macht zu schaffen, dass Hate Speech institutionalisiert wird. Künstliche Intelligenz, Whiteness und Click-Ökonomie verstärkten das Phänomen. “Die psychische und physische Gesundheit der Menschen wird für Gewinnmaximierung gefährdet. Macht wird gehalten, Hass wird verbreitet!”

Sie sei auf der Suche nach “Solidarität, gemeinsamen Aktionen, Reflexion und Einbeziehung der Zivilgesellschaft.” Strukturelle Diskriminierung gelte es zu untersuchen.

#IGFQuestions
Grafik: Das NETTZ

What are the best practices (to counter hate speech) from your country? 

Anke Domscheit-Berg bemängelt bei der 2. Frage nach erfolgreichen Ansätzen in ihrem Land, dass sie bisher nur Best Practices von Grassroot Organisationen kenne, “bei denen sich die Menschen gegenseitig online helfen und die Opfer digitaler Gewalt unterstützen. Deutschland scheitert (bisher) bei der Behebung von Defiziten in der Strafverfolgung. Fast alle digitalen Gewalttaten, die gegen Gesetze verstoßen, bleiben ungestraft.”

Sie hofft, dass die “aktuelle Entscheidung der deutschen Regierung … eine Verbesserung sein könnte: die Einrichtung einer spezialisierten Strafverfolgungsbehörde zur Bekämpfung digitaler Hassverbrechen. Es gibt sie noch nicht, aber ich glaube, sie kann helfen, denn die meisten Täter sind heute Wiederholungstäter, die sich frei fühlen, Gesetze zu brechen.”

 

Auch der deutsche Politiker Lars Klingbeil, SPD-Generalsekretär, hebt zivilgesellschaftliches Engagement hervor und nennt als Beispiel die Gruppe #ichbinhier, “deren Mitglieder Hate Speech mit Fakten kontern und respektvolle Kommentare mit Likes verstärken.”

Er macht aber darüber hinaus deutlich, dass es auch Ansätze in seiner Partei gibt: “Ich bin auch froh, dass unsere SPD den Faktenfunk gestartet hat - gefälschte Nachrichten, die von Rechtsextremen verbreitet werden, werden entlarvt. … Wir entlarven gefälschte Nachrichten, um eine sachliche Debatte zu ermöglichen, was hilft, Hassrede entgegenzuwirken, da diese oft auf Vorurteilen beruht.”

 

Thomas Heilmann konzentriert sich lieber auf die Gesetzgebung: “Ein wichtiger Schritt war das #NetzDG. Wir müssen die Koordination und Kommunikation zwischen den Akteuren über das Internet verbessern, um letztendlich mehr Beteiligung zu erreichen.”

#IGFQuestions
Grafik: Das NETTZ

How can politics and #civilsociety work together more effectively?

Auf die dritte und letzte Frage “Wie können Politik und Zivilgesellschaft effektiver zusammenarbeiten?” antwortet Bishakha Datta: “Die Politik muss die Zivilgesellschaft respektieren und sie tief in das Herzstück der Internet Governance integrieren. Die Zivilgesellschaft nicht als "optional" oder "gelegentlich" behandeln. Das ist ein Ausgangspunkt.” Nach ihrem Empfinden, müssen die Lösungsansätze direkt aus den Communities heraus entwickelt werden. Bisher ist da ein ungleiches Machtverhältnis, das verhindert, dass Politik und Zivilgesellschaft effektiv zusammen arbeiten können. 

 

Mauricia Abdol wünscht sich, dass der Stimme der Jugend in Entscheidungsbereichen wie der Gesetzgebung mehr beachtet wird. “Es gibt zahlreiche Jugendorganisationen, die sich mit Lösungen beschäftigen, denen nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt wird.” Sie bezeichnet die Zivilgesellschaft als Bindeglied zwischen politischen Entscheidungen und deren Umsetzung. Eine “bedeutsame Präsenz der Zivilgesellschaft ist entscheidend für einen spürbaren Wandel.”

 

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken spricht Dreh- und Angelpunkte effektiver Arbeit an: “Zivile Projekte brauchen politische Unterstützung. Die sehr wertvolle Arbeit von Tausenden von Freiwilligen verdient Anerkennung, kann aber nicht ohne professionelle Hilfe geleistet werden. Wenn wir sonntags positiv über diese Arbeit sprechen, sollten wir sie am Montag finanzieren.”

 

Auch Anke Domscheidt-Berg ist davon überzeugt und wird konkret: “Wir diskutieren derzeit ein Demokratiegesetz zur nachhaltigen Finanzierung von Initiativen, die sich für die Stärkung der Demokratie einsetzen. Einige von ihnen sind Ziel extremer Formen der Hassrede. Wir brauchen dieses Gesetz, denn derzeit sind viele von ihnen existenziellen Bedrohungen durch Ausgabenkürzungen ausgesetzt.

Wir brauchen auch eine Steuerrechtsreform. Mehrere NGOs oder Bürgerinitiativen, die im Kampf gegen Rechtsextremismus tätig sind (z.B. attac, vvn-bda), haben ihren Status der Steuerbefreiung verloren. Dies führte zu einer zusätzlichen Belastung für diese Initiativen, und das Gegenteil sollte der Fall sein. Sie sollten Unterstützung bekommen.

Die Kombination von enormen geplanten Budgetkürzungen für diese Initiativen mit der Gefahr (oder Realität), die Steuerbefreiung wegzunehmen, ist eine existenzielle Bedrohung für einige dieser Initiativen, von denen viele große Arbeit geleistet haben, eine große Kompetenz entwickelt haben und so dringend benötigt werden.

Ich möchte auch, dass mehr Vertreter zivilgesellschaftlicher Initiativen als Experten in die politische Entscheidungsfindung einbezogen werden. Sie brauchen mehr Möglichkeiten, sich für ihre Interessen und Bedürfnisse einzusetzen. Und sie brauchen mehr echte Anerkennung für die beachtliche Arbeit, die sie trotz der Hassrede leisten.”

Lars Klingbeil unterstreicht diese Aussage: “Zivilgesellschaftliche Organisationen, die Hate Speech entgegenwirken, brauchen ständige politische und finanzielle Unterstützung. Darüber hinaus sollten die demokratischen politischen Institutionen und die Zivilgesellschaft ihre Aktivitäten besser koordinieren, z.B. schnelle Reaktionen auf Hass-Kampagnen oder Desinformationskampagnen.”

 

Die  meisten Antworten entsprechen unserer Wahrnehmung und decken sich mit Teilen unserer Forderungen. Ob sich die Positionen, die in den Statements zum Ausdruck gebracht wurden in den politischen Entwicklungen der nächsten Zeit spiegeln, werden wir aufmerksam verfolgen.

Wer sich gern noch ausführlicher mit den Fragen und Antworten beschäftigen will bzw. sich auch für die anderen Bereiche interessiert, ist herzlich eingeladen über den Hashtag #IGFQuestions auf Twitter alle Statements und Kommentare zu lesen. Und noch besser wäre, wenn die begonnenen Diskussionen fortgesetzt würden, denn die Themen sind weiterhin aktuell. 

 

Barbara Djassi
Autor*in

Barbara Djassi

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