Community Event: Warum Hate Speech im Digitalen und Gewalt im Analogen sich nicht trennen lassen
Zwei volle Tage verbrachten rund 180 Engagierte aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Politik und Tech während unseres Community Events damit, sich über digitale Zivilcourage und Hass im Netz auszutauschen, neue Einblicke zu erhalten und gemeinsam konstruktive Ideen zu entwickeln. Eins wurde dabei klar: Die Trennung zwischen digital und analog macht in der Community gegen Hass im Netz keine*r mehr.
Von der VerNETTZungswand zum Open Space
Um unserem Namen gerecht zu werden, ging es bereits nach der Anmeldung zu Beginn des Community Events um Vernetzung. Noch vor dem herzlichen Willkommen und Warm-up mit unserer Moderatorin Fatma Erol-Kılıç schmückte die NETTZ-Community unsere Vernetzungswand mit ihren Steckbriefen und Polaroid-Fotos, die das Netzwerken unter den rund 180 Teilnehmer*innen am 13. und 14. Mai im bUm Berlin vereinfachte. Dieses Jahr waren einige neue Gesichter dabei, die von den NETTZ-Co-Geschäftsführerinnen Nadine Brömme und Hanna Gleiß mit Bildern aus früheren Zeiten einen kleinen Einblick bekamen, wie das Community Event gewachsen ist.
Bei der Fishbowl-Diskussion „Das Digitale im Analogen“ diskutierte Nadine Brömme gemeinsam mit CORRECTIV-Geschäftsführerin Jeannette Gusko, Franz Werner von Aktion Zivilcourage, Philipp Lorenz-Spreen vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und Bundestagsmitglied Misbah Khan über brennende Fragen der Demokratie, über demokratiefeindliche Akteur*innen im Netz und in analogen Sphären und wie wir realpolitisch die Kluft zwischen analogen und digitalen Realitäten schließen können, um nachhaltig gegen Hass und für Demokratie einzustehen.
Ein großes Problem, das während des Events immer wieder betont wurde, sind das fehlende Verständnis und die unzureichenden politischen Antworten auf die Zusammenhänge zwischen digitalem und analogem Hass in unserer Gesellschaft. Auch bei der Fishbowl wurde das sowohl von Jeannette Gusko als auch Misbah Khan hervorgehoben. Bundestagsmitglied Khan sagte über die Präsenz demokratischer Parteien in sozialen Medien und den dortigen Erfolg von Populismus:
„Die Tanzfläche ist schon besetzt von anderen – und die Musik bestimmen sie auch.“
Die CORRECTIV-Enthüllungen in diesem Jahr verdeutlichten eindringlich, wie stark rechtsextreme Netzwerke in parteipolitische Strukturen hineinreichen und welches Ausmaß deren Mobilisierung annimmt.
Gusko warf die Frage auf, wie die digitale Landschaft eigentlich aussehen würde, wenn wir – also zivilgesellschaftliche Initiativen, demokratische Journalist*innen, Wissenschaftler*innen, Politiker*innen – viel mehr Ressourcen in soziale Medien stecken würden? Wenn wir digitale Sphären mitgestalten wollen, so Gusko, sei das dringend nötig.
Nach dem Input unserer Speaker*innen diskutierten wir in Kleingruppen über die aufgeworfenen Fragen. Viele Gespräche wurden in der Mittagspause weitergeführt. Am Nachmittag boten Mitglieder unserer Community zahlreiche Inputs im Open-Space-Format und in Anlehnung an das Motto des diesjährigen Community Events „Screens and Society – Das Digitale im Analogen“ an.
Zu den Inputs zählten etwa Diskussionen rund um Sicherheit auf Dating-Apps durch die Nutzung von biometrischer Gesichtserkennung, um die Echtheit des Gegenübers zu verifizieren mit Yoel Roth von MATCH. Aber auch Austausch zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft, wie etwa mit der Universität Jena sowie unserer Bundesarbeitsgemeinschaft »Gegen Hass im Netz«. Die NETTZ-Forscher sprachen über audio-visuelle Inhalten bei politischer Kommunikation – mehr dazu auf der Website der BAG »Gegen Hass im Netz«.
What the Hate?! Demokratie, DSA und Du
Wir freuten uns besonders, unsere kürzlich im Rahmen des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz veröffentlichte Studie „Lauter Hass – leiser Rückzug“ auf dem diesjährigen Community Event mit vielen Vertreter*innen unterschiedlicher zivilgesellschaftlicher Organisationen diskutieren zu können.
Nach einem Warm-up, bei dem viele bunte Luftballons durch das Auditorium flogen, begann der zweite Tag deshalb mit der Keynote von Jutta Brennauer (Neue deutsche Medienmacher:innen) und Hanna Gleiß (Das NETTZ) zur Studie, die die Erfahrungen deutscher Internetnutzer*innen analysiert und aktuelle Zahlen und Fakten zu Hass im Netz liefert. Mit diesem Start war klar, warum zivilgesellschaftliches Engagement gegen Hass im Netz so wichtig ist.
Mehr zur Studie findest du auf der Website des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz.
Eine unserer Forderungen aus der Studie ist ein stärkerer realpolitischer Vorstoß gegen Hass im Netz. Auf unserem an die Keynote anschließenden Panel „Demokratie, DSA und Du“ berichtete Tim Harlinghausen von der Bundesnetzagentur über seine Arbeit für die neue Koordinierungsstelle für digitale Dienste, kurz und auf Englisch DSC. Diese nahm am 14. Mai mit Inkrafttreten des Digitale-Dienste-Gesetzes ihre Arbeit auf. Zivilgesellschaftliche Akteur*innen können sich seitdem als sogenannte Trusted Flagger für Zumeldungen bei der Behörde bewerben. Darüber hinaus gibt es weitere Veränderungen, die durch den DSA für Internetnutzer*innen, Zivilgesellschaft und Forschung ermöglicht werden. Die Bundesnetzagentur stellt sicher, dass Online-Dienste die neuen Regeln des DSA einhalten und Nutzer*innen sicher und frei im Netz unterwegs sein können. Sie dient aber auch als Schnittstelle zwischen Zivilgesellschaft und Plattformen.
Die Rolle dieser neuen Stelle und viele weitere Punkte diskutierte NETTZ Advocacy- und Policy-Managerin Lena-Maria Böswald neben Harlinghausen mit Tim Mache (Google) und Franziska Benning (HateAid). Zur Sprache kamen etwa strukturelle und finanzielle Hürden in der Umsetzung des DSA, potentielle neue Herausforderungen durch weltweite Kriegssituationen und fehlende Ansprechpersonen für die Zivilgesellschaft. Die Teilnehmer*innen hatten während des Panels die Möglichkeit, ihre Fragen digital einzureichen und mitzudiskutieren.
Ein Blick hinter die Studien-Kulisse
Die Veröffentlichung der Studie „Lauter Hass – leiser Rückzug“ traf einen politisch wichtigen Nerv der Zeit. Unsere Gesellschaft entwickelt und verändert sich rasend schnell. Globale Diskurse und Krisen spielen eine große innenpolitische Rolle und sind für die Zivilgesellschaft einen Griff zum Smartphone entfernt.
Als Co-Herausgeber war es uns wichtig, auf dem Community Event einen Blick hinter die Kulissen der Studie zu ermöglichen und ausgiebig und tiefgründig mit der NETTZ Community über den Prozess der Studie sowie die Entwicklung der dazugehörigen Social-Media-Kampagne „What The Hate?!“ zu sprechen und Anregungen und Fragen mitzunehmen.
Kathi Heffe (HateAid), Melina Honegg und Valentin Dander (beide GMK) stellten in der ersten Workshop-Runde als Teil des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz vor, wie die Studie „Lauter Hass - leiser Rückzug“ entstanden ist. Von der Entwicklung der Interview-Fragen, zur Erhebung, Auswertung und der Publikation führten sie die Teilnehmer*innen durch den Prozess und beantworteten offene Fragen rund um Methoden und Analysen. Besonders interessant war im Kontext dieser Studie, dass vier unterschiedliche Trägerorganisationen innerhalb einer engen Zeitspanne viele interne sowie externe Aushandlungen, Feedbackschleifen sowie Arbeitsbereiche koordinieren mussten.
Was wäre eine Studie ohne die richtige Kampagne? Da wir als Schnittstelle zwischen Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Politik ein großes Interesse daran haben, die Ergebnisse der Studie auch niedrigschwellig und nützlich nach außen zu kommunizieren, war es ebenso wichtig, eine entsprechende Kampagne zu entwickeln, die die Veröffentlichung unserer Studie begleitete.
Hierzu hielten Eda Öztürk und Jutta Brennauer von den Neuen deutschen Medienmacher*innen den Workshop zu „How-to-Social-Media-Kampagne mit Herz”. Die Teilnehmer*innen hatten die Möglichkeit der Social-Media-Kampagne von der Konzeption bis zur Durchführung zu folgen und sich mit den Workshop-Hosts sowie untereinander über eigene Kampagnen-Erfahrungen und Herausforderungen auszutauschen.
Ein wichtiges Anliegen war es, eine Kampagne zu Hass im Netz interessant und erfolgreich in den sozialen Medien zu kommunizieren, ohne dabei selbst Hass zu reproduzieren. Hierfür wurde regelmäßig Feedback von betroffenen Personen eingeholt.
Zwei volle Tage Community Event vergingen trotz der intensiven Inputs wie im Flug! Wir nehmen viele Impulse, positive Vibes und Hoffnungen trotz schwieriger Zeiten für die Demokratie mit und freuen uns bereits auf das nächste Jahr!
Förderung
Das Community Event ist eine Veranstaltung von Das NETTZ als Teil des Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz – gefördert im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die Veranstaltung wurde zusätzlich vom „Kongressfonds für nachhaltiges Tagen“ der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe unterstützt.
Emine Aslan
(-/-) Online-Redakteur*in