Veranstaltung

EU-weite Vernetzung: Auf dem OCCI Europa Summit in Paris

Titelbild Magazin OCCI Europa Summit Paris NETTZ
© Foto: Sebastien Alvarez

Die Initiative für Zivilcourage Online (OCCI: Online Civil Courage Initiative) organisierte am 13. April 2018 zum ersten Mal einen Europa Summit. Eingeladen waren Initiativen und Aktivist*innen aus Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Österreich und Norwegen, die sich gegen Hass und Extremismus im Netz einsetzen. Wir waren auch dabei und geben euch hier einen Einblick in unsere Erlebnisse in Paris.

Wer war alles beim Summit dabei?
Eingeladen waren Initiativen, die das OCCI bei der Bekämpfung von Hassrede und Extremismus im Netz als relevant ansieht und mit denen sie teilweise bereits zusammenarbeiten. Bei der Auswahl wurde ebenfalls darauf geachtet, dass verschiedene Ansätze und Themen vertreten sind. Insgesamt waren 60 Teilnehmer*innen, die wiederum 48 Organisationen vertreten haben, anwesend. Die meisten französischen Initiativen haben ihren Sitz in Paris und waren entsprechend auch die größte Gruppe auf dem Summit.

Über welche Themen wurden diskutiert?
Der Konferenztag war sehr intensiv und voll mit Themen von A wie anti-muslimischem Hass, über Extremismus, Feminismus, Gegenrede-Ansätzen bis hin zu R wie Radikalisierungs-tendenzen. Schwerpunkte waren Extremismus und Radikalisierung sowie die Fragen, was eine erfolgreiche Gegenrede-Kampagne auszeichnet und wie man Wirkung messen kann.  

Policy Planners Network in der französischen Nationalversammlung
Alle Teilnehmer*innen des OCCI Europa Summit waren nachmittags noch in die französische Nationalversammlung eingeladen. Dort trafen sie auf das Policy Planners Network, das bereits vorher mit Teilnehmer*innen aus bis zu zwölf Staaten der Welt tagte. Deren Ziel ist es, Politiken gegen Extremismus und Radikalisierung effektiver zu gestalten. Themen sind unter anderem der Umgang mit radikalisierten Menschen in der Gesellschaft, rechtsextreme Gewalt als auch Hate Speech. Ausgewählte Initiativen durften ihre Arbeit dem politischen Netzwerk vorstellen.

Erkenntnisse zum Extremismus
Das Institute for Strategic Dialogue (ISD) forscht intensiv zu extremistischen Gruppierungen und hat einige seiner Erkenntnisse präsentiert: 

Radikale politische Gruppierungen nutzen Technologien sehr intelligent und professionell und stimmen ihre Botschaften exakt ab. Ihre Kommunikationsstrategien enthalten maßgeschneiderte Elemente für unterschiedliche Zielgruppen. Ihre Tonalität ist militärisch. Motiviert werden Anhänger*innen über “gamification”-Ansätze: Mitmachen fühlt sich an, als sei man mitten in einem Spiel.

Diese Gruppen sind international optimal vernetzt. Die extremistische Propaganda nutzt Grundbedürfnisse nach Identitätssuche, Gemeinschaftsgefühl und den Umgang mit persönlicher Frustration geschickt aus. Es gibt sehr erfolgreiche Hass-Kampagnen wie zum Beispiel die europaweite Kampagne “Defend Europe”, die gegen Einwanderung in die EU kämpft und von der Identitären Bewegung unterstützt wird.

Bewegungen wie die sogenannte “Alternative Rechte” sind so erfolgreich, weil sie es geschafft haben, Gegen-Kulturen aufzubauen und für alle Zielgruppen attraktive Angebote zu schaffen. Rechtsextreme und islamistische Gruppierungen stehen in einem Wechselverhältnis. Sie sind sich in vielen Aspekten erstaunlich ähnlich und stärken sich gegenseitig.

Gerade im Bereich Deradikalisierung ist es essentiell, Online- und Offline-Maßnahmen zusammenzubringen. Die Übertragung ist häufig schwierig, aber notwendig. Nicht alles, was passiert, ist auch sichtbar: Einige Organisationen, gerade im Bereich Extremismus und Radikalisierung machen großartige Programme, die jedoch so sensibel sind, dass sie auf keiner Website publiziert werden. Sie arbeiten zum Beispiel mit den Familien von Radikalisierten zusammen. Die relevante Frage in diesem Zusammenhang ist, wie man eigentlich erkennt, wenn sich jemand radikalisiert und wie man sich dann verhalten sollte.

Empfehlungen für Gegenrede-Kampagnen
Welche Empfehlungen ergeben sich daraus für Kampagnen, die sich gegen Hass im Netz und für eine positive Debattenkultur stark machen? Das ISD empfiehlt folgendes:

  • Involviere deine Zielgruppe im Design der Kampagne und den Verbreitungskanälen.

  • Beziehe “Influencer*innen” und authentische Botschafter*innen in deine Kommunikationsstrategie ein.

  • Bleibe mit der Zielgruppe während der Kampagne im Kontakt.

  • Biete Inhalte an für verschiedene Formen des Engagements.

  • Schaffe die Möglichkeit Feedback zu Inhalten und Botschaften der Kampagne zu geben.

  • Beziehe das Feedback in die weitere Planung deiner Aktivitäten ein.

Wichtig für die Gegenrede ist, nicht moralisierend daherzukommen. Eine weitere spannende Frage in der Diskussion betrifft die Sprache. Inwieweit unterscheidet sich die Sprache engagierter Personen nach ihrem Alter? Wichtig ist die Sprache und Ausdrucksart der eigenen Zielgruppe(n) sehr gut zu kennen und in eigenen Kampagnen umzusetzen.

Unterschiede zwischen Deutschland, Frankreich und Großbritannien
Viele Themen, Fragestellungen und Herausforderungen sind grenzüberschreitend, so wie das Thema an sich auch transnational ist. Trotzdem hat jedes Land seine eigenen Gegebenheiten an nationaler Gesetzgebung, kulturellen und gesellschaftlichen Einstellungen sowie historischen Ereignissen, die Debatten bis heute prägen. An verschiedenen Momenten im Verlauf des Tages wurden Unterschiede zwischen den drei Ländern deutlich:

Die verschiedenen Medien in den drei Ländern pflegen einen unterschiedlichen Umgang damit, in welcher Form Täter*innen und Opfer nach Anschlägen gezeigt werden und auch ob ihre  Nationalitäten genannt werden oder nicht. In Großbritannien gelingt es extremistischen Gruppierungen zunehmend ihre Ideologien in den gesellschaftlichen Mainstream zu integrieren. Das gilt zwar leider auch für andere Länder, scheint aber im Vereinigten Königreich ausgeprägter zu sein. In Frankreich dreht sich in den Debatten das meiste um Kommentare und Verhaltensweisen gegen Eingewanderte, vor allem Muslime. In Deutschland spielt die Identitäre Bewegung eine entscheidende Rolle und auch islamistische und extrem rechte Gruppierungen sind sehr stark.

Dass Deutschland seit einigen Monaten das NetzDG eingeführt hat, verändert teilweise die Sprache, die zunehmend zynischer wird. Die Frage, inwieweit ähnliche rechtlich-politische Maßnahmen in den beiden anderen Ländern diskutiert werden, spielte auf der Konferenz keine Rolle.

Internationale Vernetzung ist sinnvoll
Im Austausch mit Teilnehmenden aus Frankreich wurde deutlich, dass auch dort kaum Austausch zwischen den Organisationen und eine Abstimmung zu ihren Aktivitäten stattfindet. Kommunale, regionale und nationale Vernetzung ist so wertvoll und kann die Wirksamkeit aller zivilgesellschaftlichen Initiativen fördern. Genauso ist die internationale Vernetzung sinnvoll und hilfreich, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu erkennen und transnational koordiniert zu arbeiten.

In der Paneldiskussion wurde eine Initiative französischer Unternehmen thematisiert (wer den Namen kennt, darf ihn uns gerne mitteilen), die Werbung zurückziehen, wenn deutlich wird, dass rechtsextreme Gruppen davon profitieren. Dies erinnerte an die Hashtag-Kampagne #keingeldfürrechts in Deutschland. Zu diesen und vielen anderen Themen ist ein internationaler Erfahrungsaustausch sinnvoll.

Ein französischer Teilnehmer brachte die Idee ein, am 16. Mai, dem Internationalen Tags des Zusammenlebens, gemeinsame Aktionen zu planen. Dieser Tag wäre eine schöne Möglichkeit positive Erzählungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und ein friedliches Miteinander voranzutreiben.

Was ist das OCCI?
Das ISD und Facebook stehen gemeinsam hinter der Initiative für Zivilcourage OCCI. Expertisen im technologischen, akademischen und kommunikativen Bereich sollen gebündelt werden, damit die Zivilgesellschaft effektiver auf Hassrede und Extremismus reagieren kann. Es gibt OCCI Insight Reports, Werbeförderung und weitere Unterstützungsangebote (Peer-to-Peer, Create against Hate u.a.) für Gegenrede-Kampagnen. Es gibt geschlossene OCCI-Facebook-Gruppen, Gegenrede-Workshops und das OCCI Help Desk.

Das OCCI wurde 2016 gegründet und 2017 auf Frankreich und Großbritannien erweitert. Die Arbeit des OCCI ist wichtig, sollte aber nicht dazu führen, dass Facebook die Verantwortung, gegen Hass und Extremismus vorzugehen, vor allem bei der Zivilgesellschaft und nicht bei sich selbst sieht.

Foto Hanna Gleiß
Autor*in

Hanna Gleiß

(sie/ihr) Co-Gründerin / Co-Geschäftsführerin


 

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