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Gastbeitrag: 13 Fragen, konstruktive Faktenchecks und positive Psychologie gegen den Hass- Teil 1

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Foto: Waldemar Brandt  |  © Unsplash.com

„Mehr als drei Viertel der Deutschen erleben Hass im Netz.“ Die Landesanstalt für Medien NRW  führt regelmäßig Umfragen zum Thema Hate Speech im Internet durch und veröffentlichte im Juni 2021 dieses besorgniserregende Ergebnis. Zudem scheinen viele Themen in der öffentlichen Debatte von sich immer weiter verhärtenden Fronten dominiert zu werden - aktuelles Beispiel: eine Impfpflicht als mögliche Maßnahme zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Meist will jede*r den eigenen Standpunkt nicht nur verteidigen, sondern schließlich auch durchsetzen. Doch sollte eine respektvolle Streitkultur nicht Mittel zur konstruktiven Konfliktlösung sein, an deren Ende ein für alle Beteiligten annehmbarer Kompromiss steht?

Journalist*innen verstehen sich in zugespitzten gesellschaftlichen Diskussionen oft als Moderator*innen, deren Rolle es ist, Argumente zu ordnen und eine ausgewogene Teilhabe aller Positionen zu ermöglichen. So zum Beispiel Markus Lanz in seiner gleichnamigen Talk-Sendung oder Frank Plasberg in Hart aber fair.. Doch in den etablierten Sendungen bleibt es häufig bei der reinen Konfrontation der Positionen. Neue journalistische Formate gehen einen Schritt weiter.

Nicht gegeneinander, sondern miteinander diskutieren

Ein Beispiel für ein solches Format ist die ZDF-Sendung 13 Fragen. Menschen mit unterschiedlichen Standpunkten zu einem Kompromiss zu bewegen, das ist das Ziel der Moderator*innen der Sendung  Salwa Houmsi und Jo Schück. Als Reaktion auf die Argumente der Gegenseite können sich die Teilnehmer*innen auf einem Spielfeld abhängig vom Grad der Zustimmung aufeinander zu- oder voneinander wegbewegen. Idealerweise findet sich die Gruppe schließlich in der Mitte zusammen und einigt sich auf einen Lösungsvorschlag, mit dem alle Beteiligten einverstanden sind.

In dem SWR-Pilotprojekt Der Raum mit Eva Schulz, das derzeit in der ARD-Mediathek zu finden ist, sind die Teilnehmer*innen trotz unterschiedlicher Ansichten darauf angewiesen, zusammenzuarbeiten, um dem themenspezifischen „Escape Room“ zu entkommen. Team-Spiele ermöglichen lebhafte und fast natürliche Gespräche. Die Journalistin möchte die Debatte konstruktiv weiterführen. Ihr geht es um die Fragen Was ist der kleinste gemeinsame Nenner? Worauf können wir uns einigen? und Wie machen wir jetzt weiter?

In Der Raum könne das Publikum die Protagonist*innen auch von einer anderen Seite kennenlernen, berichtet die Journalistin Eva Schulz, „weil sie plötzlich durch Kühlschränke kriechen müssen oder man sieht, wie sie sich bei einer Schätzfrage verhalten; was sie wissen; wie sie miteinander agieren, wenn eine Moderatorin nicht das Wort erteilt.“

Zehn Regeln für eine konstruktive Gesprächsführung

Mit Blick auf diese neuen Formate und angelehnt an die zehn Regeln für eine gute Debatte des Forums für Streitkulturhaben wir im Kurs einen Leitfaden für eine journalistische Gesprächsführung in polarisierten Zeiten erarbeitet. Jenseits neuer Formate, die einen Beitrag zur Verbesserung unserer Streitkultur und des argumentativen Diskurses leisten wollen, stehen Journalist*innen jeden Tag vor der Herausforderung, den richtigen Umgang mit unbegründeten Vorwürfen, Beleidigungen, Hasskommentaren und Hetze zu finden.

Journalist*innen in Onlinediskussionen

Die Netiquetten, mit denen viele Medien ihre Rezipient*innen auf eine mitmenschliche Diskussionskultur ihrer Plattformen hinweisen, sind bereits ein guter Anfang. Die journalistische Moderations- und Integrationsfunktion dort anzuwenden, wo im Nachgang öffentlich über journalistische Arbeit diskutiert wird, ist eine Möglichkeit, wie Journalismus einen Beitrag gegen Hass im Netz leisten kann. Auch hierbei sind die Ansätze der oben vorgestellten Formate in einigen Punkten übertragbar:Journalist*innen könnten gezielt Fragen einwerfen, wie Schück und Houmsi es in 13 Fragen tun. Den Gesprächsverlauf anschließend grafisch darzustellen, indem regelmäßig die Zustimmung oder Ablehnung zu Argumenten der Gegenseite erfragt werden, motiviert vielleicht zur Teilnahme oder macht besonders strittige Punkte - aber auch Gemeinsamkeiten - deutlich. Die Debatte spielerisch zu gestalten wäre technisch zwar aufwendiger, aber dennoch eine Überlegung wert. Im Anschluss an einen journalistischen Beitrag könnte zum Beispiel per Link oder QR-Code auf ein thematisch passendes Game verwiesen werden, an dem Interessierte ortsunabhängig teilnehmen können. Sicherlich müssten Redaktionen entsprechende Ressourcen bereitstellen – beispielsweise in Form von Teams, die sich der oben genannten Funktionen bewusst annehmen und User*innendebatten begleiten. Ich denke allerdings, dass sich der Versuch lohnen würde.

Quellen- und Redaktionstransparenz

Nicht selten werden auch Journalist*innen für ihre Arbeit kritisiert und angegriffen. Kritik an der eigenen Berichterstattung können wir allerdings gut vorbeugen – durch Transparenz. Indem Journalist*innen von Beginn an klar kommunizieren, wie sie sich Themen annähern, diese recherchieren, aufbereiten und daraus Schlüsse ziehen, schaffen sie Transparenz über ihren Redaktionsprozess. Auf ernst gemeinte und berechtigte Kritik einzugehen geschieht ebenfalls zugunsten von Vertrauen und Glaubwürdigkeit.

Das bestätigt auch Eva Schulz im Gespräch. Für Deutschland3000 (ein politikjournalistisches Angebot von Funk, dem Content-Netzwerk von ARD und ZDF, das sich insbesondere an Jugendliche und junge Erwachsene richtet), hätten sie in einem Beitrag erklärt, welche Auflagen öffentlich-rechtliche Medien hätten, wenn sie vor Wahlen über Politik berichteten. Die hohen Abrufzahlen würden zeigen, "dass Menschen sich stärker dafür interessieren, wie Journalismus überhaupt entsteht." Dazu zählt auch die Offenlegung der Quellen. Früher war das Einbinden von langen Quellenlinks eher unüblich. Doch erfolgreiche YouTuber wie Rezo hätten hier einen Damm gebrochen, sagt Schulz. „Man hat sofort gemerkt, dass diese Form von Transparenz Vertrauen weckt.“ Es mache die Arbeit darüber hinaus einfacher nachvollziehbar und weniger angreifbar, sagt die 31-Jährige. Maithink X, die neue Wissenschaftsshow mit Mai Thi Nguyen-Kim im ZDF, ist eines der ersten journalistischen Angebote, bei denen nun auch Quellen eingeblendet werden.

Grenzen der Meinungsfreiheit und das Problem False Balance

Der journalistische Objektivitätsanspruch impliziert, alle Seiten abzubilden – auch jene, die man persönlich nicht vertritt. Zu Wort kommen sollten allerdings nur Positionen, die sich noch auf demokratischem, die Menschenwürde achtendem Boden bewegen. Außerdem ist es wichtig, nicht nur polarisierende Positionen zu zeigen. Zu einem vollständigen Überblick über die unterschiedlichen Meinungen gehören auch sogenannte „Grautöne“ - viele Menschen verorten sich zwischen den Extremen. Zudem ist es die Aufgabe der Journalist*innen die Positionen einzuordnen und in einen Kontext zu setzen. Wenn lauten Minderheiten z.B. Klimaleugnern unreflektiert eine Bühne geboten wird – und das im Zweifel genauso präsent wie Mehrheitsmeinungen – entsteht schnell ein falscher Eindruck der Repräsentativität. Dann produziert der gut gemeinte Objektivitätsanspruch eine falsche Balance.

Das offene Gespräch als Ziel

Selbstverständlich möchte ich nicht ausklammern, dass es auch positive und konstruktivesGespräche zwischen Menschen gibt, die ohne die Möglichkeiten des Internets wohl nicht zustande kämen. Doch auch hier kann eine redaktionelle Moderation sicherlich von Vorteil sein. Entweder, um bereichernde Diskussionen proaktiv zu leiten oder einer potenziellen Eskalation vorzubeugen. Wenn von vornherein bekannt ist, dass Gespräche konstruktiv begleitet werden, beteiligen sich vielleicht auch diejenigen, die sich das bisher nicht getraut haben.

Missverständnisse lassen sich sowohl im Privat- als auch im Berufsleben bekanntlich vorbeugen, indem man offen miteinander spricht. Warum versuchen wir nicht, diesen Ansatz auch auf die öffentliche Kommunikation im Internet anzuwenden? Journalismus kann so weiterhin einen aktiven Beitrag zu einer solidarischen Gesellschaft und letztlich dem Fortbestehen der Demokratie leisten. Und jede*r kann und darf sich beteiligen: offen und kritisch, aber fair und respektvoll.

Zur Autorin: Larissa Glas ist 22 Jahre alt und studiert im dritten Semester Journalistik. Der angehenden Journalistin sind Nachhaltigkeit, Tier- und Umweltschutz sowie soziale Gerechtigkeit persönliche Anliegen. Sie möchte über Menschen berichten, die sich engagieren, um gesellschaftliche Probleme zu lösen. Der Text entstand im Rahmen des Kurses „Spezielle Themen im Journalismus“ im Journalistik- Studiengang der Hochschule Macromedia. Kursleitung, Redaktion und Redigat: Christine Siefer.

Foto: Larissa Glas privat
Autor*in

Larissa Glas

Studentin der Journalistik

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