Portrait

#ichbinhier im Portrait: "Hate Control" und Gegenrede

Auf dem "Hack Day for Good" entwickelte Philip Kreißel von #ichbinhier die Idee für das Projekt "Hate Control". Es erhielt den Zuschlag beim NETTZ-Förderwettbewerb 2018. Im Gespräch mit Hanna Gleiß erzählt er über Hassrede und Troll-Profile auf Facebook, das gebaute Tool, die Verantwortung der Plattformen und wie man #ichbinhier unterstützen kann. 

Shitstorms einfach abschalten – genial. Was macht das Tool konkret?

Wer von einer Hasskampagne betroffen ist, kann mit dem Tool einfach seine Facebook-Kommentarspalte schließen. So unglaublich das klingt, aber Facebook erlaubt das von Haus aus nicht. Hasskampagnen sind damit aktuell Teil des Geschäftsmodells von Facebook und werden nicht unterbunden. 

Hatecontrol wird sich für einige nach Zensur anhören. Die Reaktion ist absehbar. Was tun mit unterschiedlichen Vorstellungen von Meinungsfreiheit?

Das Tool hat mit Zensur nichts zu tun. Es zensiert ja nicht bestimmte Meinungen, sondern gibt dem Besitzer einer Facebook Seite im Fall eines Shitstorms die Kontrolle über SEINE Seite und SEINE Reichweite zurück. Wer pöbeln will, kann das weiterhin woanders, z.B. auf seiner privaten Seite, tun. Da stört es dann auch weniger Menschen. Kostenpflichtige Moderationssoftware, die viel weitergehende Funktionen bieten, gibt es außerdem längst, aber kleine NGOs oder Politiker, die oft von Hasskampagnen getroffen werden, haben dafür oft nicht die Ressourcen.

Facebook könnte das Tool doch ohne Probleme einsetzen, oder? Glaubst du, dass das passieren wird?

In der Vergangenheit war es für Facebook das wichtigste Ziel, Verbindungen zwischen Menschen herzustellen, koste es was es wolle. In einem geleakten Memo von 2016 spricht ein Manager sogar davon, dass man dafür in Kauf nehme, dass sich Terroristen vernetzen und Menschen Mobbing ausgesetzt werden. Ob sich die Kultur im Unternehmen mittlerweile grundlegend geändert hat, kann ich aktuell noch nicht erkennen.
Philip Kreißel
#ichbinhier

Was wünscht ihr euch von Facebook? 

Facebook braucht einen grundlegenden Kulturwandel an der Spitze. Für viele Menschen weltweit ist Facebook das einzige Sprachrohr, Quelle politischer Nachrichten und Verbindung zu einer weltweiten Community. Dieser immensen Verantwortung wird Facebook nach wie vor nicht mal ansatzweise gerecht. Selbst offensichtliche Fake Accounts werden auch nach dutzendfachem Melden nicht gelöscht, und da reden wir noch gar nicht von professionell erstellten Fakes. Um Hasskommentare über das NetzDG zu melden, muss man ein sehr verstecktes Formular nutzen. Es wäre deutlich sinnvoller, das NetzDG-Formular direkt in Facebooks Meldesystem zu integrieren. 

hc
Förderwettbewerb 2018  |  © Foto: Jörg Farys / Die Projektoren

Eure Arbeit wird erfreulicherweise stark gewürdigt, aber ihr wuppt alles weiterhin ehrenamtlich. Was wünscht ihr euch von staatlicher Seite an Unterstützung? 

Wir begrüßen es, wenn auch von staatlicher Seite die Digitalkonzerne in die Pflicht genommen werden, sich nicht nur für die eigenen Aktionäre, sondern auch für das Gemeinwohl einzusetzen. Aber auch der Staat selbst tut nicht genug; es muss deutlich einfacher und erfolgsversprechender werden, Online-Beleidigungen und -Bedrohungen zur Anzeige zu bringen. Aktuell verläuft das oft im Sand. 

Spürt ihr Veränderungen in der Diskussionskultur auf Facebook seit Einführung des NetzDG? Erleben wir eine immer stärkere Polarisierung?

Es gibt auf jeden Fall weniger strafrechtlich relevante Kommentare, aber die rechtsextremen Trolle sind deswegen ja nicht verschwunden, sie verbreiten weiter ihr Gedankengut, wenn auch subtiler.

Wird ein Account wegen Verletzung der Facebook-Standards gesperrt, wird einfach ein neuer erstellt. Wir haben herausgefunden, dass die Hälfte der Kommentare, die gegen Greta Thunberg gerichtet waren, von Accounts kamen, die erst kürzlich erstellt worden sind oder Profilbilder aus dem Netz verwenden. Facebook kann die Trolle momentan also nicht effektiv von der Plattform fernhalten.
Philip Kreißel
#ichbinhier

Du hast ein Tool für #ichbinhier entwickelt, welches besonders toxische Kommentare anzeigt. Wann schlägt es an? Was sind eure Kriterien, wann ihr euch als #ichbinhier in Debatten einmischt? 

Unser Tool zeigt uns eigentlich nur an, wo zurzeit besonders stark kommentiert wird, liefert also nur eine grobe Vorfilterung. Die Entscheidung, ob wir eingreifen, treffen bei uns Menschen. 

Unser Ziel ist eine gesunde demokratische Streitkultur im Netz. Dabei ist es wichtig, dass verschiedene Meinungen zu Wort kommen. Wenn in einer Kommentarspalte Herabwürdigungen und Hetze überhandnehmen, greifen wir ein.
Philip Kreißel
#ichbinhier

Wie die Mitglieder das Gruppenziel umsetzen, ist ihnen selbst überlassen; wichtig ist nur, dass respektvoll und sachlich diskutiert wird.

#ichbinhier ist seit einiger Zeit stärker mit Berichten und Analysen am Start und längst nicht nur eine Masse Menschen, die sich spontan im Netz zu Notfall-Einsätzen zusammen tun. Was sind eure nächsten Pläne? 

Wir werden auf der re:publica im Mai zwei Projekte vorstellen, die wir durchgeführt haben. Eines beschäftigt sich mit der Wirksamkeit von #ichbinhier auf die Kommentarspalten; die haben wir wissenschaftlich untersuchen lassen. Für unser zweites Projekt haben wir Hasskampagnen ausgewertet. Diese Analysen haben auch nochmal gezeigt, warum es Hatecontrol braucht. Vonseiten des Vereins ichbinhier e.V. sind außerdem Projekte im Bereich der Jugend- und der Erwachsenenbildung in Planung. 

Welche Unterstützung hilft euch am meisten? 

 

Wir brauchen eine Diskussion darüber, wie wir digitale Demokratie gestalten wollen. Wir müssen erkennen, dass wir Facebooks Algorithmen nicht ausgeliefert sind, sondern selbst beeinflussen können, in welche Richtung sich das Internet entwickelt. Jeder kann und sollte sich unserer Meinung nach hier einbringen. Für wen dies Neuland ist: Ein erster Schritt wäre es, der Aktionsgruppe #ichbinhier oder dem Verein ichbinhier e.V. beizutreten.
Philip Kreißel
#ichbinhier

Möchtet ihr sonst noch was loswerden?

Je mehr Menschen sich im Netz für eine demokratische Streitkultur einsetzen, andere Meinungen anhören, statt sie abzuwerten, und sich Extremisten aller Couleur entgegenstellen, desto eher wird das volle Potential des Internets nutzbar, echte demokratische Partizipation zu ermöglichen. 

Foto Hanna Gleiß
Autor*in

Hanna Gleiß

(sie/ihr) Co-Gründerin / Co-Geschäftsführerin


 

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