Statement

Notizen zum #Frauentag

Fot: Kleiner Fünf
Foto: Lore Kurtz

100 Jahre Frauentag 
Zum 100. Mal hat sich der Frauentag in Deutschland und Polen gejährt. Schon am 5. März war #Frauentag Top-Hashtag auf Twitter. Große Frauenstreiks nach spanischem Vorbild (ca. sechs Millionen Menschen waren beteiligt) wurden Monate lang vorbereitet: “Ständig werden wir diskriminiert, unterdrückt und ausgebeutet. Wir werden tagtäglich mit verletzenden Witzen, Kommentaren, Übergriffen und körperlicher Gewalt klein gemacht. Unsere Arbeit wird gering geschätzt und noch immer verdienen Frauen in Deutschland im Schnitt 22% weniger als Männer.” (Auszug: Aufruf zum Frauen*streik). Die Anzahl der Frauen im deutschen Bundestag ist aktuell so gering wie 20 Jahre nicht mehr. Anstatt sich konsequent für Gleichberechtigung einzusetzen, sind Parteien auf dem gesamten Kontinent damit beschäftigt, das Rad wieder zurück zu drehen.
So erfolgreich wie gewünscht war der Aufruf zum Frauen*streik nicht. Aber es versammelten sich weltweit Tausende auf den Straßen um zu protestieren. 

Foto: Kleiner Fünf
Foto: Lore Kurtz

Frauentag und Vernetzungsstelle gegen Hate Speech – gehört das zusammen?
Ja, auf jeden Fall! Die größte Gruppe der von Hass im Internet Angegriffenen sind Frauen. Neben unzähligen Einzelfällen von Cybermobbing, Stalking, Doxing etc. organisieren Frauenhasser Kampagnen gegen Frauen, die aktive Rollen im öffentlichen Leben spielen, feministische Positionen vertreten oder auch nur darüber schreiben. 
Aus einer auf Interviews mit Twitter-Nutzerinnen beruhenden Studie von Amnesty International über Gewalt und Anfeindungen im Netz 'Toxic Twitter: A toxic place for women' geht hervor, dass Frauen, die auf Twitter aktiv sind, nach Angriffen ihr Verhalten ändern und oft gänzlich verschwinden. Nicht alle legen sich ein dickes Fell zu wie Claudia Roth: “Wenn ich einen Panzer um mich herum bauen würde, wäre ich nicht mehr ich selbst. Den Triumph gönne ich niemandem. Natürlich tut es manchmal weh, natürlich ist es nicht angenehm, immer und immer wieder beschimpft und mit denselben Lügen verhetzt zu werden. Aber eines wird nicht passieren: Ich schenke den Hetzern und Hassern nicht meine Angst. Nicht um alles in der Welt.” sagt sie im Interview mit dem Tagesspiegel, als es darum geht, wie sie offensiv mit dem Hass umgeht, der ihr entgegen gebracht wird. 

Claudia Roth rät den Frauen, die sich mit Angriffen konfrontiert sehen, “sich nicht zurückzuziehen, sondern Unterstützung einzufordern. Solidarität hilft.”
Zitat: Claudia Roth
MdB und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages

Zusammenhalten und gemeinsam aktiv werden, das war schon vor 100 Jahren das Erfolgsrezept. Hätten Frauen wie Clara Zetkin und ihre Weggefährtinnen nicht Allianzen geschmiedet, gäbe es heute keinen internationalen Frauentag und ihre Bemühungen hätten sicher nicht zu so essentiellen Veränderungen geführt wie der Einführung des Wahlrechts für Frauen.

Darum ging es am Vorabend des Frauentages im Frauenwahllokal in Potsdam bei einer Veranstaltung der Gesellschaft für deutsch polnische Nachbarschaft Sąsiedzi e.V.‎ Anna Czechowska stellte das Projekt PolMotion des Vereines AgitPolska e.V. vor, das vor allem polnische Migrant*innen zu politischer Teilhabe ermutigen und die zweitgrößte Migrant*innengruppe in Deutschland sichtbarer machen will. Deutlich wird, dass Zusammenhalt und entschlossenes gemeinsames Engagement in der polnischen Frauenbewegung existenziell sind, denn die PIS-Regierung, auf gleicher Linie mit der erstarkenden katholischen Kirche, arbeitet mit rigorosen Mitteln den Errungenschaften der Regenschirmkämpferinnen von vor 100 Jahren entgegen. Entschlossen setzen sich polnische Aktivist*innen zur Wehr.

Der Wind in den Sozialen Medien in Polen ist rau. Anna Czechowska sagt, sie sei stets vorbereitet auf Hass. Aber das wäre keineswegs ein Grund, in Schwermut zu verfallen. Mit dem Mentor*innen-Programm legt PolMotion den Grundstein für solidarische Partizipation und schützende Allianzen.

“In der Tat ist die politische Spannung um die Rechte der Frau das wichtigste Merkmal der polnischen Transformation. Die Transformation - zu verstehen im Sinne der Rechte des Individuums, autonomer Subjektivität und bürgerlicher Freiheiten, insbesondere in Bezug auf die Kontrolle über den eigenen Körper - wurde hauptsächlich durch zwei Maßnahmen begründet: das Einführen des Religionsunterrichtes an den Schulen und das Verbot der Abtreibung, die während der gesamten 42 Jahre polnischer Volksrepublik (1947–1989) erlaubt war. Das Opfern der Rechte der Frau auf dem “Altar des Nichtangriffspakts” mit der Kirche, die während des Kommunismus ein wichtiger sozialer Akteur im Kampf für die Demokratie war, wurde zu einem strukturellen Merkmal der polnischen Modernisierung.” Quelle

Foto: Wikimedia
Foto: Wikimedia

Weltweit florieren herabwürdigende Äußerungen über Frauen
Der polnische Abgeordnete Janusz Korwin-Mikke bemerkte im Europäischen Parlament bei einer Debatte über geschlechterspezifische Einkommensunterschiede: „Natürlich müssen Frauen weniger als Männer verdienen, weil sie schwächer, kleiner und weniger intelligent sind...“, und fügte im nächsten Atemzug hinzu, dass er die Demokratie für „die dümmste Regierungsform, die je erdacht wurde” hält. Quelle  
Unfassbare Äußerungen wie diese beschränken sich nicht auf polnische Politiker. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro ließ im Parlament die Bemerkung fallen, eine Abgeordnete der oppositionellen Partei 'ParIch tido dos Trabalhadores' sei so hässlich, dass er sie nicht einmal vergewaltigen würde.” Es bleibt auch nicht bei missbilligender und verletzender Rede. Es folgen Einschnitte, die versuchen das Engagement für Frauenrechte und Gleichberechtigung auszuhebeln. So schaffte Ministerpräsident Victor Orban beispielsweise an ungarischen Universitäten Gender Studies ab. Die Reihe ließe sich fortsetzen. 

Das Bekenntnis zum Antifeminismus fungiert als einigendes Band, mit dessen Hilfe sich die neue Rechte organisiert.
Antje Schrupp
Freitag

Auf politischer Ebene werden gezielt Tabubrüche eingesetzt, um sexistische Äußerungen salonfähig zu machen und antifeministische Politik zu etablieren.

Misogyne Männerbünde 
Aktiv sind erniedrigende und hassende Männer nicht nur in der Politik. Man trifft sich z.B. beim World Congress of Families und entwickelt Programme und Strukturen, die das “einzig taugliche” Konzept der Mann-Frau-Kinder-Familie weltweit durchsetzen sollen. Es werden Seiten wie WikiMannia gepflegt, bei der man zunächst hofft, es mit schlechter Satire zu tun zu haben. Hier wird Feminismus nicht mehr als überflüssige Bewegung eingestuft, sondern Bedrohungsszenarien für den unterdrückten Mann aufgebaut. Dahinter steckt zum Beispiel die Incel-Bewegung (Incel - involuntary celibacy), deren Vertreter sich als Verlierer der Emanzipation verstehen, weil sie keine Frau abkriegen. Sie stehen auf ihrer selbst erfundenen Skala des Erfolgs beim weiblichen Geschlecht auf der untersten Stufe. Da sich in ihrer Logik Frauen in der Wahl ihrer Sexualpartner aufgrund einer möglichst starken und wiederum erfolgreichen Nachkommenschaft stets auf der Skala nach oben und nie nach unten orientieren, fallen sie komplett aus dem Beuteschema und bleiben "Foreveralone" und höchstwahrscheinlich sogar ohne jegliche sexuelle Erfahrung. 

“Die Frustration der Incels bleibt jüngst nicht nur eine digitale Verschwörungstheorie, die sich einer Analyse den eigentlichen Gesellschaftsverhältnissen verweigert. Die Verzweiflung zog Taten nach sich. Alek M., der Ende April in Toronto mit einem Fahrzeug in eine Menschenmenge fuhr und dabei zehn Menschen tötete und 15 weitere verletzte, schrieb kurz vor seiner Tat auf Facebook:
‘The Incel Rebellion has already begun! We will overthrow all the Chads and Stacys!’ 
Im Zuge dessen distanzierten sich einige wenige Incels auf incels.me von den Geschehnisse in Toronto. Andere gratulierten dem Attentäter jedoch medial. Das sei ‘genau das Lebenselixier’, das er brauche, schreibt ein Nutzer und fügt an: «Wir müssen die Normies in ständiger Angst halten.” Quelle (‘Stacys“ und “Chads” stehen für attraktive und erfolgreiche Frauen und Männer.)

Diese und andere in den Vereinigten Staaten entstandene Bewegungen werden in Verbindung mit ultrakonservativen bis rechtsextremistischen Ideologien gesehen. Die Incels, Maskulinisten, MGTOW’S, etc. lassen sich bestens für Kampagnen gegen Frauen und Feminist*innen gebrauchen. 
Anders Breivik postuliert etwa in seinem Manifest. “am Ende der Revolution kenne … die Frau unter der Ägide des restituierten Patriarchats wieder „ihren Platz in der Gesellschaft“. Der Feminismus habe dazu beigetragen, dass die 'Machtbalance' zwischen Männern und Frauen erodiert sei. Außerdem würden Feministinnen politische Korrektheit und muslimische Immigration befürworten und seien deshalb für die Zerstörung der norwegischen Gesellschaft mitverantwortlich. 60 bis 70 Prozent der zu bekämpfenden Kulturmarxisten seien Frauen; „das Schicksal der europäischen Zivilisation [hängt davon ab], wie standhaft europäische Männer dem politisch korrekten Feminismus widerstehen.” Quelle

Incel-Meme
Incel-Meme

Frauenhass in Online-Games 
Fast 50 Prozent der Games-Community sind weiblich. Frauen halten sich in einer ungesunden bis gefährlichen Gesellschaft auf, denn die Realität der Online-Games ist von Sexismus geprägt. Ein besonders abartiges Beispiel ging in letzter Zeit durch die Medien - 
Rape Day. "Triff die Entscheidungen eines gefährlichen Serienmörders und Vergewaltigers während einer Zombie-Apokalypse. Belästige, ermorde und vergewaltige Frauen, während Du die Geschichte fortsetzt. (...) Du bist der gefährlichste Vergewaltiger der Stadt.", hieß es in der Ankündigung des Computerspiels. Steam, Internet-Vertriebsplattform für Computerspiele, hat das Spiel nach einer Welle der Empörung vom Markt genommen. Es ist nicht das erste Spiel, dass offen sexistisch ist. Und natürlich sind es auch nicht nur die Spiele selbst, sondern auch ihre User. Schließlich gibt es einen Markt für Games, die Frauen demütigen und verletzen. Die Konsumenten verhalten sich dementsprechend gegenüber den Gamerinnen auch feindselig. Als Frauen begannen, diese Situation anzuprangern, entstand unter dem Hashtag #Gamergate eine Hasskampagne. So wie ein Blogger die Geschichte in einem Artikel von 2015 aufgedröselt, wird eine antifeministische Haltung deutlich, die an die schon beschriebenen Männerbewegungen Anschluß findet. 

Rechte Weibsbilder
Männerrechtsbewegte sind aber keineswegs immer maskulin. Die Frontfrauen rechter Gruppierungen und Parteien spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die Frau, die endlich wieder “Heimchen am Herd” sein darf, ist dabei auch nur eine Teil der Erzählung der rechten Anti-Gender-Geschichte. Da wird das Märchen abgespult von der durch “staatlich verordneten Genderwahn” betriebenen Eliminierung dessen, was eine wirklich freie Frau ausmacht, nämlich sich ihrer Weiblichkeit hinzugeben inklusive ihrer Reize und Verführungskünste. Schließlich wird diese Frau dem Bild von der verkniffenen männerhassenden Feministin gegenüber gestellt. Wenn man es nur intelligent genug verpackt und mit dem richtigen Feindbild kombiniert, kann sogar ein eigener rechter Feminismus daraus werden, wie die Reaktionen auf Silvester in Köln, Kandel und Co. zeigen. Allen voran eilt mit ihren intellektuellen Textfragmenten die siebenfache Mutter “biodeutscher” Kinder Ellen Kositza, Bloggerin auf Sezession zum Thema Frauen und Feminismus. 

Frauen mit Vorbildfunktion sind notwendig, um rechte Geschlechter-Ideologien mit Leben zu füllen und sie einer breiten Masse verkaufen zu können. Hinrich Rosenbrock beschreibt in der Kurzfassung zu seiner lesenswerten Abhandlung Die antifeministische Männerrechtsbewegung, “dass neonazistisches Gedankengut in der Regel antifeministische Argumentationen beinhaltet. Dies lässt sich u.a. damit erklären, dass die Volksgemeinschaft und damit die Basis der rechten Ideologie, auf einer klaren geschlechtsspezifischen und biologisch begründeten Geschlechterordnung beruht: Der Mann als Kämpfer der Nation und die Frau als Mutter und Bewahrerin der Werte. Aus der stark biologistischen Begründung für diese Geschlechterordnung ergibt sich, dass insbesondere der Begriff 'Gender' von rechten Kreisen immer wieder vehement angegriffen wird.”

Rosenbrock bleibt nicht bei einer Beschreibung des Phänomens und der großen Wirkung, die die eher überschaubare Gruppe von Antifeministen durch Hate Speech entfaltet, sondern sucht nach Auswegen. Solidarischer Zusammenhalt steht dabei an erster Stelle. 

Ein Aufschrei reicht nicht
Um gemeinsam entschlossen und wirkungsvoll Gewalt und Hass gegen Frauen zu entgegnen, sind Aktionen wie #aufschrei und die #metoo-Kampagnen mit ihrer enormen Reichweite wichtig. Die große Zahl der Betroffenen, die ihre Erfahrungen einer Öffentlichkeit preisgeben, löst Debatten aus, die dazu führen, dass die Thematik auf die politische Agenda gesetzt wird.

Auf Amazon finden sich fast durchweg Hasskommentare auf der Seite des Buches von Initiatorin der #aufschrei-Kampagne Anne Wizorek mit dem Titel “Weil ein Aufschrei nicht reicht”. So sind diese Kommentare genauso Teil einer Endlosschleife wie sie den Titel des Buches unterstreichen. Nach dem Aufschrei muss es gemeinsam weiter gehen! Allianzen schmieden war dabei nicht bloß im letzten Jahrtausend der Trick. Auch heute sind Vernetzung und Solidarität zwingend notwendig, um dem Hamsterrad zu entkommen, in dem Hass von Hass getrieben Hass erzeugt.

#KobietyPrzeciwNienawiści #FrauenGegenHass

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