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respect! zivilgesellschaftliche Meldestelle für strafrechtlich relevante Hassrede

hate speech
© respect! Meldestelle Hetze im Netz

Die Meldestelle respect! berät bei der rechtlichen Einordnung einschlägiger Einträge in Sozialen Netzwerken und dringt auf Löschung, sobald strafrechtliche Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Erfolgt keine Löschung, wird gegebenenfalls Strafanzeige gestellt. respect! ist eine Aktion des Demokratiezentrums Baden-Württemberg, koordiniert durch die Jugendstiftung Baden-Württemberg. Die Fragen beantwortete Projektleiter Stephan Ruhmannseder. 

Was oder wen kann man bei euch melden? An wen richtet ihr euch?

Unser Schwerpunkt liegt auf allen Beiträgen in den sozialen Netzwerken, von denen Nutzer*innen annehmen, dass sie strafrechtlich relevante Inhalte Äußerungen enthalten. Wir kümmern uns aber auch um Meldungen, bei denen Menschen einfach nur auf Inhalte stoßen, die sie nicht einschätzen oder einordnen können. Auch wenn unser Handlungsspielraum je nach Art der Meldung sehr unterschiedlich ist, eine qualifizierte Rückmeldung mit Einschätzung gibt es in beiden Fällen. Unsere Zielgruppe sind dabei explizit Jugendliche und junge Erwachsene, weil die sich verstärkt im Netz tummeln. Grundsätzlich können aber alle unser Angebot in Anspruch nehmen. 

Welchen Unterschied macht es, ob ich bei euch oder auf der betroffenen Plattform oder bei der Polizei melde?

Da wir - wenn wir Fälle als strafrechtlich relevant einschätzen - auch gleich die Anzeige bei der Polizei übernehmen, können wir in den meisten Fällen garantieren, dass die Meldenden nicht selbst in Kontakt mit der Polizei treten müssen. Damit können wir verhindern, dass Klarnamen und Adressen von Meldenden im Verlauf eines möglichen Verfahrens auftauchen. Ausnahme sind dabei explizit Fälle von „Gefahr im Verzug“, also wenn es z.B. darum geht potenzielle schwere Straftaten zu verhindern. Dann sind auch wir verpflichtet, die Daten der Meldenden herauszugeben, damit alles Menschenmögliche getan werden kann, um ein solches Verbrechen zu verhindern.

Wir haben aber keinen sogenannten Strafverfolgungszwang. Das heißt wir können uns Fälle in Ruhe anschauen und dann entscheiden ob eine Anzeige nach unserer Einschätzung Aussicht auf Erfolg hat. Die Damen und Herren bei der Polizei haben diesen Luxus nicht. Die müssen ermitteln, auch wenn, zumindest auf den zweiten Blick, sicher ist, dass es zu keinem wirklichen Ergebnis kommen wird. Besonders macht unser Konzept aber die angesprochene Rückmeldung zu jedem Fall.

Wir funktionieren nicht wie ein toter Briefkasten, in den man etwas wirft und nie wieder etwas zurück hört. Bei uns gibt es zu jeder Meldung eine Einschätzung. Wenn eine Meldung tatsächlich angezeigt wird werden die Meldenden außerdem über jedem weiteren Schritt informiert.
Stephan Ruhmannseder
Projektleitung respect! Meldestelle Hetze im Netz

Eine Mitteilung gibt es dann z.B. auch wenn die Staatsanwaltschaft den Fall übernimmt und wir das mitgeteilt bekommen. Zusätzlich kümmern wir uns dann darum, dass die angezeigten Beiträge aus dem Netz verschwinden, sobald die Polizei die Beweise sichern konnte.

Der Meldemarathon, zu dem ihr im April gemeinsam mit Reconquista Internet aufgerufen habt, ist vorbei. Nutzer*innen wurden aufgefordert potenziell strafrechtlich relevante Kommentare bei euch zu melden. Wie viele Meldungen gingen bei euch ein?

Im Zeitraum vom 29.03.-15.04.19 haben wir von RI 122 Meldungen erhalten. Wichtig: In diesem Jahr haben wir uns darauf geeinigt, dass wir nur die Fälle gemeldet bekommen, die von RI als strafrechtlich relevant eingeschätzt werden. Diese Vorsortierung macht uns das Leben erheblich leichter. So können wir jetzt auch wirklich zuordnen welche Meldungen direkt von RI kommen, die bei uns eine Art “Trusted-Flagger-Status” haben.  

Wie viele Meldungen erhaltet ihr ohne besondere Aktionen wie den Meldemarathon? 

In der Regel bekommen wir pro Tag im Durchschnitt ca. 4-5 Meldungen. Im oben genannten Zeitraum sind es ca. 8. Das heißt unser Aufkommen verdoppelt sich fast. Der große Unterschied liegt aber vor allem in der Qualität der Meldungen. Man merkt schon deutlich, dass da vorher Menschen, die im Themenfeld tätig oder zumindest sehr themenaffin sind, vorher drüber geschaut haben. 

Wie viele gemeldete Inhalte waren strafrechtlich relevant und wie geht es jetzt weiter? 

Jeder Einzelfall und sein Kontext wird bei uns genau geprüft. Deshalb liegen die finalen Zahlen über die Anzeigen aus dem Meldemarathon zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor. Grundsätzlich gehen wir mit den Meldungen von RI so um wie mit allen anderen auch. Prüfen, gegebenenfalls anzeigen und dann einen Löschantrag schreiben. 

2018 habt ihr einen ersten Meldemarathon gemeinsam mit Reconquista Internet durchgeführt. Was waren eure Erfahrungen damals?

Auch letztes Jahr hat sich die Anzahl an Meldungen im Zeitraum des Meldemarathons erheblich erhöht. Der Anteil an strafrechtlich relevanten Inhalten war allerdings genau so hoch wie bei den Meldungen die wir sonst bekommen haben. Der Kontakt mit RI war zu diesem Zeitpunkt auch noch sehr lose und wir wussten nicht so richtig was auf uns zukommen würde. Seitdem hat sich nicht nur die Zusammenarbeit bei den Meldemarathons verstetigt, sondern wir tauschen uns auch außerhalb dieser Aktionen regelmäßig aus und versuchen uns gegenseitig die Arbeit immer weiter zu erleichtern. Das ist mindestens genauso viel wert wie alle Meldungen. 

Was erlebt ihr die Zusammenarbeit mit der Polizei? 

Prinzipiell als sehr produktiv. Wir haben es in den zwei Jahren geschafft, sehr gute Abläufe zu etablieren, bei der alle teilnehmenden Institutionen an einem Strang ziehen. Dazu gehört auch ein gewisses gegenseitiges Grundvertrauen, dass ohne Frage gerade auf der Arbeitsebene im Verlauf des Projekts gewachsen und nachhaltig vorhanden ist. Kritisch wird es allerdings immer dann, wenn die primären Handlungslogiken der handelnden Institutionen im Konflikt stehen. Wir sehen uns natürlich zunächst unseren Meldenden verpflichtet. Die Polizei hat als oberste Priorität möglichst effektiv bei der Aufklärung der anfallenden Straftaten zu sein. Das passt nicht zwingend immer gut zusammen. Dieser Tatsache sind wir uns auch sehr bewusst und verwechseln Zusammenarbeit niemals mit bedingungsloser Kooperation. 

Was sind eure Wünsche bzgl. der Strafverfolgung von (strafrechtlich relevanter) Hassrede? Wünscht ihr z.B. ein verschärftes Strafrecht bei Beleidigungen im Internet?

Prinzipiell gilt es eher die bereits vorhandenen Gesetze auch im Netz anzuwenden, bzw. anwendbar zu machen. Schärfere Strafen sind aus unserer Sicht nicht die Lösung. Gleichzeitig ist es sicherlich notwendig dafür zu sorgen, dass sich “Täter*innen” im Netz nicht allzu sicher fühlen können.
Stephan Ruhmannseder
Projektleitung respect! Meldestelle Hetze im Netz

Da geht es aber eher um ein System wie beim geblitzt werden im Auto. Es steht nicht hinter jeder Ecke eine Radarfalle, aber alleine die Tatsache, dass sie da sein könnte führt vielleicht dazu, dass ich mich eher an die Verkehrsregeln halte. So verstehen wir auch unsere Rolle. Es geht lediglich darum zu demonstrieren, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist. Das Problem in seiner Gänze zu lösen ist mehr als utopisch. 

Noch viel spannender wäre es allerdings wirklich einmal die Kommunikationsbedingungen zu untersuchen, die dazu führen, das sich im Netz wesentlich radikaler ausgedrückt wird und Hemmschwellen sich menschenfeindlich zu äußern offensichtlich so viel niedriger sind. Allgemeinplätze wie “das liegt an der Anonymität” scheinen da irgendwie nicht der Weisheit letzter Schluss zu sein. Es gibt im realen Leben ja auch andere Faktoren die Menschen von Straftaten abhalten, wie alleine die Angst vor dem Erwischt werden und der folgenden Strafe. 

Bemerkt ihr Unterschiede seit Einführung des NetzDG (Netzwerkdurchsetzungsgesetzes)?

Absolut! Wir nehmen auf jeden Fall war, dass die Provider schneller auf die Meldungen reagieren. Dass es jetzt flächendeckend die Möglichkeit gibt die Beiträge unter den entsprechenden Schlagworten zu melden, ist bereits ein Mehrwert für unsere Arbeit. Die meisten von uns gemeldeten Beiträge werden schneller entfernt, als dies vor Inkrafttreten des NetzDG der Fall war.

Wahrscheinlich liegt der Unterschied auch daran, dass wir wirklich nur Fälle an die Provider melden, von denen wir uns sehr sicher sind, dass sie strafrechtlich relevante Äußerungen enthalten. Wir begründen unsere Einschätzung i.d.R. auch mit dem Verweis auf entsprechende Passagen im Strafgesetzbuch (StGB). Das juristische “Inselwissen” und die Erfahrung, die wir mittlerweile in dem Bereich haben, macht unsere Trefferquote sehr hoch. Ob das NetzDG auch außerhalb unseres absolut nicht repräsentativen Arbeitsalltags funktioniert können wir aber nicht seriös einschätzen. 

Bisher gibt es euch nur in Baden-Württemberg. Würdet ihr gerne in andere Bundesländer expandieren? 

Expandieren ist da vielleicht nicht das richtige Wort. Transferieren trifft es vielleicht eher. Die Meldestelle respect! hat sich in den beiden Jahren ihrer Laufzeit bewährt und konnte kontinuierlich weiterentwickelt werden. Jetzt wäre es ohne weiteres möglich das Konzept in andere Bundesländer weiter zu geben. Als Demokratiezentrum Baden-Württemberg haben wir unseren Schwerpunkt klar hier im Bundesland und deshalb auch keinerlei Probleme damit,  Verantwortung abzugeben und erworbenes Know How den richtigen Stellen zur Verfügung zu stellen. Arbeit gibt es sowieso für alle im Themenfeld genug und es steht zu befürchten, dass es nicht unbedingt weniger werden wird. 

Nicht alle bei euch sind Jurist*innen. Wie bildet ihr euch weiter? 

Wir werden ständig von einer Kanzlei für IT-Recht betreut. In den seltenen Fällen, in denen wir gar nicht mehr weiter wissen, können wir uns dort jederzeit beraten lassen. Halbjährlich bildet sich dort auch das gesamte Team auf einer Klausur fort. Für diese Termine werden permanent spezielle oder strittige Fallbeispiele aus der täglichen Arbeit gesammelt, die in diesem Rahmen mit Fachleuten diskutiert werden. Wir haben darüber hinaus den Luxus, uns in unserer täglichen Arbeit auf einen extrem kleinen Abschnitt des Strafrechts fokussieren zu können. Relevant sind für uns vielleicht 6-8 Paragraphen des StGB. Auch wenn uns das nicht zu generellen juristischen Expert*innen macht, gibt es sicherlich wenig Aspekte in der Auslegung dieser Gesetzestexte, die bei uns noch nicht ausführlich diskutiert worden sind. Das gleiche gilt für fast alle vorstellbaren Kontexte, in denen strafrechtlich relevante Äußerungen stehen können. 

 

 

Foto Hanna Gleiß
Autor*in

Hanna Gleiß

(sie/ihr) Co-Gründerin / Co-Geschäftsführerin


 

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