Statement

Forderungen an die Justiz im Kampf gegen Hate Speech

Wenn einem digital angegriffenen Aktivisten von der Polizei geraten wird “Dann schalten Sie doch das Internet aus!” oder wenn die Mehrheit der von Hate Speech Betroffenen selbst krasse Fälle noch nicht mal anzeigt, da sie sich davon wenig versprechen, gibt es dringend Nachbesserungsbedarf. 

Justiz, Polizei und Bildung sind Beispiele für Themen, die im föderalen Deutschland Ländersache sind. Die jeweiligen Landesjustizminister*innen sind gefragt, Lösungen zu entwickeln und zu beschließen. Dies beinhaltet die Ausbildung von Anwält*innen, Polizeibediensteten, die Ausstattung in Polizeidienststellen usw.

Hate Speech ist in ein politischer Terminus. Die strafrechtlichen Formen von Hassrede sind Beleidigung, Androhung von Gewalt, Volksverhetzung etc. Für vieles davon gibt es geltende Gesetze, aber immer wieder entsteht der Eindruck, als ob diese Gesetze im digitalen Raum weniger Geltung hätten. Ein Teilnehmer unseres Hack Days brachte es gut auf den Punkt: “Wir brauchen Maßnahmen, bei denen es genauso strafbar ist, ein Hakenkreuz auf Twitter zu verbreiten, wie ein Hakenkreuz an eine Hauswand zu malen. Solange das juristisch ungleich behandelt wird, haben wir das Gefühl, dass das Internet ein rechtsfreier Raum ist.”

5 konkrete Forderungen an die Justiz

Die Nichtregierungsorganisation Campact hat die Kampagne “Hate Speech im Netz stoppen” initiiert, die relevante Leerstellen adressiert. Die zentralen Forderungen sind: 

NETTZ
Übergabe der Unterschriften an Vorsitzenden der Landesjustizministerkonferenz  |  © Bild: Chris Grodotzki, Campact

1. Landesweite Opferberatungsstellen zu Hass im Netz 

In jedem Bundesland soll es eine zentrale Anlaufstelle für Betroffene von Hate Speech geben, die auf das Themenfeld spezialisiert ist und als Schnittstelle für alle betroffenen Institutionen dient. 

2. Beauftragte für Online Hate Speech auf jeder Polizeidienststelle

Nur Polizeibedienstete, die das Netz und seine Dynamiken kennen, können die Betroffenen optimal unterstützen und die Täter*innen effektiv verfolgen. Damit werden Antworten wie “Schalten Sie doch einfach das Internet aus” bald die Ausnahme.  

3. Zentrale Ermittlungsstellen zu Hate Speech bei den Staatsanwaltschaften 

Die Staatsanwaltschaften der Länder sollen Fälle von Hate Speech zentral sammeln und auswerten, um erkennen zu können, wann es sich um systematische Attacken handelt. Die dahinter stehenden Täter*innen können dann effektiver verfolgt werden. 

4. Vereinfachte Klagemöglichkeiten bei Zivilprozessen

Bei einem Zivilprozess müssen die Angegriffenen in Vorkasse gehen und mehrere Hundert Euro zahlen. Das können sich viele nicht leisten und so bleiben die Täter*innen straffrei. Es braucht vereinfachte und kostengünstige Klagemöglichkeiten. 

5. Präventionsprogramme an Schulen

Viele Jugendliche sind mit Hate Speech im Netz konfrontiert. Aktuell hängt es vor allem vom Engagement der Lehrkräfte ab, ob und wie intensiv Themen wie Diskriminierung und Hassrede behandelt werden. Die Justizministerien sollen Präventionsprogramme auflegen, die obligatorische Schulungen von Lehrkräften und Schüler*innen ermöglichen. 

Die Kampagne bezog sich zunächst nur auf Hessen. Im NETTZ-Portrait beschreibt Anna-Lena von Hodenberg von Campact, wann für sie die Kampagne erfolgreich ist: “Es ist schon jetzt ein echter Erfolg, dass wir es geschafft haben, in Hessen auf Landesebene Bewusstsein für das Problem zu schaffen. Aber wir wollen natürlich noch mehr: (...) dass unsere Maßnahmen nach den Koalitionsverhandlungen in Hessen umgesetzt werden.”

Und genau das ist jetzt passiert.

Hessen neuer Vorreiter auf Landesebene im Kampf gegen Hate Speech? 

Im 196-seitigen Koalitionsvertrag der frisch vereidigten schwarz-grünen Landesregierung in Hessen wird der Kampf gegen Hass und Hetze im Netz thematisiert. Im Kapitel C “Wir schützen die Freiheit und stärken die Sicherheit” gibt es ein Unterkapitel mit dem Titel “Hate-Speech entgegentreten” (ab Zeile 2577, S. 61). Einleitend wird versprochen:

Die Bekämpfung von „Hate Speech“ ist uns wichtig. Wir wollen in Hessen eine Vorreiterrolle im Kampf gegen „Hate-Speech“ einnehmen und eine Kampagne unterlegt mit einem Maßnahmenkatalog erarbeiten.
Koalitionsvertrag Landesregierung Hessen
Zeilen 2579-2581

Folgende Maßnahmen werden im Koalitionsvertrag konkret angekündigt: 

“Netzwerk Prävention”

Die Landesregierung möchte relevante Stellen vernetzen, um Betroffenen von Hate Speech besser und schneller helfen zu können. “Die Verantwortung für die einzelnen Maßnahmen bleibt weiterhin bei den bisher zuständigen Ministerien. Es soll aber ein Netzwerk entstehen, dass über vorhandene Maßnahmen informiert, Synergieeffekte erzielt und es ermöglicht, neuen Herausforderungen effizienter zu begegnen.” (S. 32, ab Zeile 1443) 

Die neue Vernetzungsstelle soll Querschnittsthemen identifizieren, dafür sorgen, dass sie auch bearbeitet werden und die Strategie der Landesregierung zur Präventionsarbeit mit Akteur*innen aus der Präventionsarbeit verknüpfen. Ihre Arbeit soll wissenschaftlich begleitet und weiterentwickelt werden. Wir sind auf die Ergebnisse gespannt! 

Neue Staatsanwält*innen zur Bekämpfung von Hasskriminalität

“Bedeutende Ermittlungsverfahren wegen Hasskriminalität im Cyberraum” sollen landesweit durch die Spezialist*innen der Hessischen Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) bearbeitet werden, die zu diesem Zweck personell und materiell aufgestockt wird.” (S. 61, ab Zeile 2585). Klasse, denn so können massive Hassangriffe gegen Einzelne oder Institutionen schneller erkannt und die dahinter steckenden Täter*innen belangt werden. 

Und auch die Fortbildung von Dezernent*innen bei den Staatsanwaltschaften zu strafrechtlicher Hassrede wird thematisiert. Das ist ein zentraler Punkt, da sie darüber entscheiden, ob Klagen angestrengt werden oder eben nicht. Sie sollen “weiter sensibilisiert und laufend fortgebildet werden”. (S. 61, ab Zeile 2590)

Auch in Hessen Start des Modellprojekts "Verfolgen statt löschen"

Das erfolgreiche Projekt aus Nordrhein-Westfalen soll auch in Hessen starten. Das Projekt hat dort kurze Dienstwege zwischen Staatsanwaltschaften, Polizei, Landeskriminalämter, großen Medienhäusern sowie Landesmedienanstalten und etabliert. 

“Damit wollen wir einer zunehmenden Verrohung der Debattenkultur entschieden entgegentreten.” (S. 61, ab Zeile 2594) 

Alle Bundesländer sollten einen Start dieses erfolgreichen Projekts erwägen und sich über Erfahrungen konstruktiv austauschen. Besonders für Medienschaffende, die ja eine Unmenge von Kommentaren moderieren müssen, inklusive strafrechtlich relevante Hassrede, sind kurze Dienstwege essentiell. Die Forderung nach zentralen Opferberatungsstellen geht allerdings noch weiter, damit alle Betroffenen von Hate Speech schneller Hilfe finden. 

Schulungen für Polizeibedienstete zu Hasskriminalität und Opferberatung 

Polizist*innen sollen künftig Betroffene betreuen und unterstützen. Inwieweit Bürger*innen sich vertrauensvoll an die Beamt*innen wenden in Anbetracht der aktuellen Frankfurter Polizei-Skandale, bleibt abzuwarten. 

In jedem Fall sind Schulungen zu Hassrede und Hasskriminalität sehr zu begrüßen und dringend erforderlich. Die interkulturelle Kompetenz der Polizeibeamt*innen soll gestärkt werden. Das ist prima, greift aber zu kurz. Es braucht Anti-Diskriminierungs-Trainings für die Polizei und genauso für alle, die in Staatsanwaltschaften und Gerichten arbeiten. Hassrede betrifft ja häufig jene, die ohnehin schon diskriminiert werden, demnach ist im Umgang Fingerspitzengefühl gefragt. 

Die Polizei Hessen möchte mehr Menschen mit Migrationshintergrund für den Polizeidienst gewinnen. Auch soll verstärkt zusammengearbeitet werden mit “ehrenamtlichen Opferschutzverbänden, um eine stetige Verbesserung der Opferbetreuung zu erreichen und den Zugang zu Opferschutzangeboten noch weiter zu verbessern.” (S. 61, ab Zeile 2603)

Bundesratsinitiative “Beleidigung im Internet als Offizialdelikt”

Die hessische Landesregierung setzt sich im Bundesrat dafür ein, dass zukünftig “Beleidigung im Internet als Offizialdelikt” (S. 71, ab Zeile 3038) gilt. Staatsanwaltschaften könnten dann ohne vorherige Anzeige mit Strafantrag durch die betroffenen Personen gegen solche Beleidigungen vorgehen. Wichtiger Aspekt dabei: auf die Opfer kämen damit keine weiteren Kosten zu. 

danke
© Grafik und Bild: Campact

Die Landesregierung Hessen scheint es ernst zu meinen und nimmt sich viel vor. Sie spricht selbst von einer “Vorreiter-Rolle im Kampf gegen Hate Speech”. Wir nehmen das erfreut zur Kenntnis. Wir werden in den kommenden Monaten und Jahren die zügige Umsetzung dieser Absichten beratend und kritisch beobachtend begleiten. 

Für eine Reform des NetzDG auf Bundesebene

Und was spielt sich auf Bundesebene ab? Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat im Oktober 2017 das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) auf den Weg gebracht. Der Fokus liegt hier auf dem schnellen Löschen von rechtswidrigen Inhalten durch die Tech-Plattformen. Das Gesetz ist umstritten und viele Betroffene von Hate Speech sagen, dass sich ihre Lage seitdem wenig verändert hat. Deshalb begrüßen wir eine intensive Evaluierung und Nachbesserungen. 

Das NetzDG ist bisher nicht mit strafrechtlicher Verfolgung gekoppelt. So werden für jeden gelöschten Kommentar viele neue geschrieben. Plattformen sollten potentiell strafrechtliche Fälle von Hate Speech aber weiterleiten müssen. Würde strafbare Hassrede konsequent angezeigt und dies regelmäßig mit Erfolg, hätte dies sicherlich einen Effekt und könnte die Menge von Hassrede langfristig reduzieren.

Löschen alleine reicht nicht. Strafrechtlich verfolgen und bestrafen packt das Problem auch nicht an der Wurzel. Eine Vielzahl unterschiedlicher Maßnahmen, Prävention und Bildung, Gegenrede sowie kostenlose Hilfsangebote für Betroffene müssen zusammen spielen. Da organisierte Hassrede jedoch zum hartnäckigen Bestandteil digitaler Kommunikation geworden ist, brauchen wir unbedingt auch diese abschreckenden Konsequenzen.

Aktiv werden für Strafverfolgung von Hate Speech im Netz

Juristisch zählt der Einzelfall. Je mehr also angezeigt wird, umso klarer wird die Rechtsprechung. Auch deshalb ist es langfristig von Vorteil, wenn möglichst viele Anzeigen gestellt werden. Für die Betroffenen selbst stellt dies eine enorme Belastung dar. Es setzt nämlich voraus, dass sie die Zeit und Kraft aufbringen, sich teils durch hunderte oder tausende Kommentare zu arbeiten. 

Beratung und Unterstützung für Betroffene bietet die neu gegründete Plattform HateAid sowie weitere Opferberatungsstellen (z.B. Weißer Ring, Gegen rassistische Gewalt, Gewalt gegen Frauen, mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin, Betroffenenberatung Leuchtlinie in Baden-Württemberg). Bei der eco Beschwerdestelle analysiert ein geschultes Team von Jurist*innen eingereichte Beispiele. Je nach Einschätzung können die Betroffenen dann entscheiden ob es sich lohnt Anzeige zu erstatten und bei eindeutigen Fällen leitet das eco-Team direkt an die Strafverfolgungsbehörden weiter. Auch bei der Meldestelle respect! kann man online Kommentare melden sowie weitere Beratung zu einer eventuellen Anzeige erhalten. 

Du hast weitere Ideen zu diesem Thema? Dann schreib uns gern: info@das-nettz.de

Foto Hanna Gleiß
Autor*in

Hanna Gleiß

(sie/ihr) Co-Gründerin / Co-Geschäftsführerin


 

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